Biersommelière und Brauerin
Was begeistert Julia an der Geschmackswelt der Biere?
Bei einem ‚Bier-Tasting‘ im ‚Alten Bahnhof‘ in Frechen erschmeckst du mit Julia die feinen Nuancen ausgewählter Biere– von fruchtig malzig bis leicht herb und hopfig und noch vieles mehr. In der Gleisbrauerei stellt sie gemeinsam mit Bierbrauer Rolf Oster jede Woche verschiedene hauseigenen Craft Biere her. Als gefragte Jurorin verkostet sie auf internationalen Events schon mal 35 verschiedene Biere an einem Tag. Bei dieser sensorischen Höchstleistung beschreibt und bewertet sie das letzte Bier noch genauso leidenschaftlich wie bei der ersten Verkostung. Das ist Berufung pur!
Wie werde ich Biersommelière?
In Julias Familie wird schon seit Generationen Bier gebraut, aber Julia reizt nach ihrem Studium der Biologie erstmal die Beobachtung der Küstenvögel an der Nordsee. Zum Glück erkennt der Brauer Rolf Oster ihr Talent Geschmäcker zu identifizieren und zu beschreiben. Und nach der ersten ‚Bier-Tasting‘ Probe ist für sie klar: die Welt der Biere und der Brauprozesse – das begeistert mich! Der nächste Schritt ist ihr Wissen und die dazugehörige Sensorik professionell weiter aufzubauen. Julia schreibt sich an der weltweit anerkannten Bierakademie ‚Doemens‘ in Gräfeling bei München ein, die damals noch in Kooperation mit Axel Kiesbyes Bierkulturhaus in Obertrum, Österreich, eine umfangreiche Weiterbildung zur Bier Sommelière anbietet.
Neben den Grundlagen des Brauprozesses, der Bierhistorie und die Auswahl der Grundzutaten steht die Verkostung von seltenen und außergewöhnlichen Bierspezialitäten auf dem Lehrplan. Wie beeinflussen verschiedene Glasformen den Biergenuss durch Schaum, Aromakamin und Rezenz? Wie erstelle ich eine perfekte Kombination der Aromen aus Bieren und Speisen und natürlich auch die Auswirkungen von Biergenuss auf Körper und Geist, denn Bier ist ein alkoholisches Getränk.
„Da ich durch die verschiedenen Biere meiner Region geschmacklich geprägt bin, hatte ich schon Respekt vor dem finalen ‚Tasting‘, da bekannterweise viele bayrische Biere bei der Prüfung einfließen. Da hilft nur üben, üben und noch mehr üben. 2019 haben fünf Frauen von insgesamt 17 Teilnehmenden aus ganz Europa den Abschluss gemacht. Aber bis jetzt bin ich immer noch die einzige Frau im Rhein-Erft Kreis, die diesen Titel trägt. Seit meinem ersten Bier Tasting sammle ich verschiedene Biere und lagere sie zur Verkostung in meinem Keller ein. Denn auch Biere können reifen und ihr Aromenprofil verbessern. Übrigens hat schon der Großvater meines Mannes in den 1920er Jahren an der Doemens Akademie seine Brauer-Ausbildung absolviert. Auch mein Schwiegervater war passionierter Braumeister und wir brauen in unserer Gleisbrauerei immer noch auf Grundlage seiner Rezepturen. “
Wie können aus 4 Zutaten über 7500 verschiedene Biere gebraut werden?
Das 500 Jahre alte deutsche Reinheitsgebot beim Bierbrauen ist weltweit einzigartig. Aus Wasser, Malz, Hopfen und Hefe entstehen in Deutschland rund 7500 verschiedene Biere. Malz als Geschmacks- und Farbgeber entsteht durch das Mälzen verschiedener Getreidearten, dabei wird nicht nur Gerste genutzt. Aus jedem Getreide kann das entsprechende Malz hergestellt werden. Außerdem darf in anderen Ländern auch mit Rohfrucht, also dem ungemälzten Getreide gebraut werden.
„In Mexiko wird der dort angebaute Mais oft beim Brauen verwendet, in den Asiatischen Ländern wird Reis genutzt. Wir haben in unserer Gleisbrauerei auch schon mal ein Spezialbier mit Kastanien gebraut. Das durfte natürlich nicht als Bier verkauft werden. Im Vergleich zu unseren Europäischen Nachbarn reglementiert das Reinheitsgebot sehr strikt, welche gebraute Flüssigkeit den Namen ‚Bier‘ tragen darf. Dabei kann man durch die Zugabe von Gewürzen, Fruchtauszügen und Fasslagerungen dem ‚Fastengetränk der Nonnen und Mönche‘ eine wunderbare Geschmacksvielfalt geben.“
Von der Biersommelière zur Bierbrauerin
Um das Handwerk zu erlernen ist ein erfahrender Braumeister/Braumeisterin und die ‚Hands on‘-Erfahrung in einer Brauerei wichtig. Aber wie bei jedem Handwerk ist die Begeisterung für das Produkt wichtig. Julias Bücherstapel mit Fachliteratur wird nie kleiner.
"Allein die Hopfenauswahl ist eine Wissenschaft für sich. In welcher Region mit welchen Bodenverhältnissen wird sie angebaut, wie ist der Trockenprozess und viele andere Faktoren beeinflussen den Geschmack des Hopfens im Bier enorm. Unsere zwei Hausbiersorten veredeln wir mit den ausgezeichneten Hopfensorten Perle und Tettnanger vom Schörehof der Familie Bentele aus Tettnang am Bodensee. Wir haben in unserem Biergarten einen kleinen Hopfengarten gepflanzt, in dem wir unseren Gästen zeigen können, dass Hopfen mit zu den am schnellsten wachsenden Pflanzen auf unserer Erde gehört. Die Ranken können bis zu acht Meter hochwachsen! Im August werden die ersten Dolden geerntet und ins Bier gestopft.“
Die neugebaute Brauerei
Am Mittwoch ist ‚Brautag‘ in der eigenen Brauerei und 2000 Liter der zwei hauseigenen Biere: ‚Lokstoff‘ - ein leichtes trübes Wiess und das klare ‚Finchen‘ füllen die Stahltanks. Dazu kommen die monatlich wechselnden Bierspezialitäten wie Bockbier, Citra oder Bernsteinweizen. Die 1- und 2-Liter Flaschen und die 10 Liter-Fässer (sogenannten Pittermännchen) für den Verkauf außer Haus sind von Hand gespült, abgefüllt und etikettiert. Echte Handarbeit bis ins letzte Detail!
„Bei der Renovierung des alten Bahnhofs haben wir extra eine Leitung unter den Böden verlegt, die von der Brauerei direkt zum Tresen im Gastraum führt. Frischer kann kein Bier gezapft werden. Die alte Theke ist ein gerettetes Unikat aus einer ehemaligen Bahnhofs-Gastwirtschaft im Westerwald. Fast jedes unserer Möbel in den einzelnen Räumen erzählt eine besondere Geschichte.“
Sense & Sensibility – ein Bier zum Weltfrauentag!
Ein spannendes Thema für Julia und ihre befreundeten Biersommelière. Zum ‚Brautag‘ bringt jede von ihnen etwas Besonderes mit: Anja stiftet Wasser aus dem Bergischen Land und Jutta (@biertastingbonn) bringt Kazbek für die Hopfengabe mit. Die Beschreibung der drei Biersommelière ist beeindruckend.
„Im Glas präsentiert sich unsere Bier goldfarben, auf der Zunge tanzen die kräutrig-pfeffrigen Aromen von Engelwurz, Koriandersaat und Paradieskörnern. Deutlich schmeckt man die typischen Bitterorangenschalen. Gleichzeitig sorgen die Getreideflocken für ein angenehm samtiges Mundgefühl. Eine „Wit.ch“ mit geringem Trinkwiderstand, die hoffentlich allen schmecken wird.“
Ihre Bierkreation erzählt damit auch die Geschichte, dass Frauen seit dem Mittelalter als Bierbrauerinnen arbeiten. In der Zeit der Hexenverfolgung führt Neid und Missgunst dazu, dass ihnen ihre geldeinbringende Braukunst zum Verhängnis wird.
„Auf den Märkten waren diese Frauen durch ihre hohen spitzen Hüte schon von Weitem zu erkennen Ihre großen Braukessel finden sich in der Überlieferung von Zaubertrankkesseln wieder und ihre Katzen schützen das Getreide vor den Mäusen. Wir möchten mit unserer „Wit.ch“, gebraut mit Rohfrüchten und Gewürzen, an die Geschichte erinnern, dass viele Brauerinnen mit ihrem Wissen auf dem Scheiterhaufen endeten.“
Julia und ihr Lieblingsbierland!
Neben Deutschland ist es natürlich Belgien - das Land der vielfältigen Bierkultur.
„Traditional nutzt die belgische Bierbrauercommunity die verschiedenen überlieferten Veredlungstechniken und kreieren immer wieder geschmacksintensive und besondere Biere. Ihre Art des Bierbrauens ist durch einen Antrag der deutschsprachigen Gemeinden 2016 als Weltkulturerbe geschützt worden. Eine großartige Anerkennung der Arbeit vieler Generationen. In Deutschland gehört zwar nicht das Bier, dafür die handwerkliche Braukunst zum immateriellen Weltkulturerbe.“
Die Biercommunity, Instagram und Julia
Während des Corona-Lockdowns stoppt von einen Tag auf den anderen der ganze Betrieb. Zeit für Julia ihrem gewohnten Arbeitsleben neue Impulse zu geben – via Instagram.
„Unsere Biere und unser Gastbetrieb sind seit Jahren lokal sehr bekannt, hier braucht es kaum Werbung. Instagram hat mir die Möglichkeit gegeben, in Kontakt mit vielen Bierexperten und bierbegeisterten Menschen europaweit zu kommen. Der Austausch über Events wie Bierfestivals oder besondere Bier Tasting Angebote, Brauerei Besichtigungen, Neuerungen & interessanter Fachliteratur funktioniert hier wunderbar.“
„Anfang Mai war ich mir meiner Community im belgischen Pajottenland unterwegs. Wir haben bei besonderen Lambic (Sauerbier) Brauereien und Stekerijen viele außergewöhnliche Biere verkostet. Im Unterschied zum deutschen Weizenbier wird auch unvermälzter Weizen genutzt. In flachen, offenen Wannen, den sogenannten Kühlschiffen, setzen ‚wilde Hefen‘ den Gärprozess in Gang. In der weiteren Lagerung werden unterschiedliche Holzfässer genutzt, die wie beim Whisky für ein besonderes Aromenprofil sorgen. Bei den Fruchtlambics werden verschieden Früchte zum Nachvergären genutzt. Beim ‚Steken‘ werden verschiedene Lambics (frisches Sauerbier) mit mindestens 6 Monaten alten Lambics verschnitten (vermischt). Diese Kreation heißt 'Gueuze' und darf in Eichenholzfässern jahrelang reifen, bis der ‚Steker‘ entscheidet, dass sie genussfertig sind. Diese lange Zeit, die dem Bier gegeben wird, um sich zu entwickeln, ist einfach fantastisch und es entstehen sehr vielfältige Geschmäcker.“
Wie viele Biere kann eine Biersommelière erschmecken?
Auf der ‚Women's International Trophy‘ in Mainz hat Julia hat schon an einem Tag 35 verschiedene Biere verkostet, beschrieben und bewertet. Die internationale Jury besteht nur aus Frauen, die die auf höchstem Niveau eingereichten Weine, Biere und Spirituosen aus aller Welt bewerten. Als Jurorin ist sie auf weiteren europäischen Events gefragt.
„Als ich letztes Jahr als Expertin zum internationalen Wein-, Bier- und Spirituosenwettbewerb ‚Concours International de Lyon‘ eingeladen wurde, war ich schon überwältigt von der Qualität der eingereichten Biere und anderer Produkte. Aber auch der Austausch mit meinen Kolleg:innen auf internationaler Ebene bereichert und inspiriert mich.“e
Welche Ziele hat sich Julia für 2024 vorgenommen?
„Eine besondere Wertschätzung für unsere Brauerei & unser Handwerk haben wir schon im April erhalten. Das Land NRW hat unsere Gleisbrauerei sowie sieben andere Brauereien aus NRW mit dem Ehrenpreis „Meister.Werk.NRW“ für das Lebensmittelhandwerk 2024 ausgezeichnet. Wir werden damit u. a. für unsere nachhaltige Betriebsführung, sorgfältige Auswahl der (möglichst regionalen) Rohstoffe und regionales Engagement gewürdigt.“
Eine besondere Anerkennung für die ganze Familie, die 2012 den Sprung in die Selbstständigkeit wagt. Den alten, verlassenen Bahnhof und die Nebengebäude mit enormer Eigenleistung zu restaurieren ist dank vieler helfender Hände in knapper Zeit möglich. Die neu angebaute Brauerei mit perfekter Technik ermöglicht ein Brauen auf hohem Niveau. Das regionale Konzept der hauseigenen Brauerei, Kneipe und Gastwirtschaft findet eine stetig wachsende Kundschaft. Ein absoluter Gegentrend zu den Fakten, dass immer weniger Menschen Bier trinken und dass kleine Lokale in ländlichen Gebieten wegen fehlender Kundschaft schließen.
Julias zweites Ziel für 2024 steht auch schon fest.
„Ich habe mich für die Deutsche Meisterschaft der Biersommeliers im September angemeldet. Sie findet alle 2 Jahre statt und ich bin schon seit einigen Monaten dabei, mit meiner Trainingsgruppe viele verschiedene internationale Bierstile und Fehlaromen zu verkosten, damit ich meine Sensorik intensiv schulen und mein Aromengedächtnis verbessern kann. Ich suche mir immer eine neue Herausforderung.“
Julia und ihre ‚Bier‘ Events
Möchtest du mit Julia in die vielfältige Geschmackswelt der Biere eintauchen? Oder den Brauprozess und die Besonderheiten der Zutaten kennen lernen? Und dabei auch erfahren, wie sich Bier als alkoholisches Genuss Getränk über die Jahrhunderte etabliert hat? Oder wo finde ich wegweisende neue Brauereien? Was für neue Bier- Geschmack Trends entstehen gerade? In der Gleisbrauerei in Frechen am westlichen Stadtrand von Köln kannst du eine spannende Zeit mit Julia verbringen.
„Ein Bier-Tasting ist ein sinnlicher Vorgang! Viele Menschen sind überrascht, wieviel sie mit meiner Anleitung er-schmecken, riechen, sehen und fühlen können! Auch der Brauprozess mit den ‚nur‘ 4 Zutaten birgt viele Überraschungen.“
Was könnte dir Julia noch erzählen?
Zum Beispiel: Warum brauen Nonnen und Mönchen im Mittelalter Bier?
„In der Fastenzeit durften die OrdensmitgliederInnen nur wenig essen. Daher waren die Ordensschwester und -brüder interessiert, möglichst sättigende Biere zu produzieren. Denn Flüssiges bricht Fasten nicht. Die Äbtissin Hildegard von Bingen hat als eine der ersten den Einfluss des Hopfens auf die Gesundheit untersucht und aufgeschrieben. Sie wurde über 80 Jahre alt und gab uns den guten Rat: „Cervisiam bibat - man trinke Bier“
Oder dass es in Frankreich mittlerweile mehr Brauereien (2500) als in Deutschland (1500) gibt. Dabei sind die Französinnen und Franzosen auch gerne bereit einen angemessenen Preis für die handgemachten Craft Biere zu zahlen.
Das Herzstück - 'Der Alte Bahnhof'
Julias Begeisterung für ihr Handwerk und einen stilvollen Bierkonsum spiegelt sich auch im liebevoll gestalteten Gastronomiebetrieb des ‚Alten Bahnhof‘ wider. In den verschiedenen Räumlichkeiten und im Biergarten an den alten Gleisen am westlichen Stadtrand von Köln schmecken die hauseigenen Craft Biere zu jeder Jahreszeit.
Passion und Leidenschaft – Julia hat ihre Berufung gefunden. Obwohl da noch immer die Idee ist, eine Saison lang die Küstenvögel an der Nordsee zu beobachten.
Name: Julia Trunz
Sie ist: Bier Sommelière & Bier Brauerin, studierte Biologin
Sie ist zu finden in: der Gleisbrauerei im 'Alten Bahnhof' in Frechen, am westlichen Stadtrand von Köln
Ihr WIASOLA Tipp: Lernt! Erweitert euren Horizont. Glaubt an Euch. Vernetzt euch und redet miteinander. Das fällt bei einem guten Bier oft leichter.
Ihre aktuellen 5 Lieblingsbiersorten (in Klammern der Bierstil)
- Unser 'Wit.ch' - in Kollaboration mit Anja Kober-Stegemann & Jutta Knoll (Wit)
- Unser 'Lokstoff' (Wiess)
- 'Symbiose' von Boerenerf (Blend aus Lambic, selbst hergestelltem Cider und Honigwein)
- 'Super A' Art Bier #5 von Maisels & Friends (New England IPA)
- 'Abt 12' von St. Bernadus (Quadruple)
Zu finden unter:
Interessante Links:
Die beiden Biersommeliere Jutta Knoll und Anja Knober-Stegemann
'INFO'
Malz ist kurz gekeimtes und wieder getrocknetes Getreide bzw. Pseudogetreide. Dieser als Mälzen bezeichnete Vorgang bildet und aktiviert Enzyme im Getreide, die z. B. für das Bierbrauen notwendig sind.