Honig - ein Fest für unsere Sinne!
Wie ergänzen sich die Imkerei, Slow Food und eine Honig Degustation?
Die regionale Vermarktung eines Slow Food Produktes, die Geschmacksvielfalt des Honigs und das Leben der Honigbienen im Klimawandel – das sind nur einige Facetten, die Marianne Kehres als Imkerin beschäftigen. Ihre Initiative der regionalen Vermarktung bringt sie als Sachverständige für Bienen und Honig vom Bergischen Land zu Slow Food Messen in Italien und Deutschland. Mit ihrer sensorischen Beschreibung des Honigs eröffnet sie uns die wunderbar vielseitige Geschmackswelt des Honigs.
Wie werde ich zu einer gefragten Bienen- und Honig-Expertin?
Mit genauer Beobachtung, Lehrgänge und Fachliteratur über Bienen & Pflanzen und der Passion für den besonderen Geschmack des Honigs erarbeitet sich Marianne ihren Karriereweg. Am Anfang steht die Idee auf ihrem großen Grundstück im Bergischen Land umgeben von Wiesen und Wäldern die alte Tradition eines insektenfreundlichen Nutz- und Naturgartens wieder aufblühen zu lassen. Der Trend 'riesige Rasenfläche mit ein paar tropischen Ziergehölzen' entspricht so gar nicht Mariannes ökologischer Vorstellung. Beim lokalen Imkerverein ersteht sie zwei Bienenvölker zur Bestäubung der neu gepflanzten Apfelbäume. Mit ihrer ansteckenden Leidenschaft und Neugier für die Bienen und ihrem Naturprodukt wählen sie die männlichen Kollegen vom lokalen Imkerverein nach einem Jahr zur Vorsitzenden. Auch bei Instituten und auf Veranstaltungen begeistert sie als Fachfrau zum Thema ‚Bienen, Imkerei und Honig‘. Mit ihrem Werbeflyer an Frauen gerichtet schafft sie es die Anzahl der Imkerinnen in der traditionellen Männerdomäne zu erhöhen. Aber ihr Herzensthema ist die Tatsache, dass eine Imkerin oder ein Imker auch mit nur einem Bienenvolk einen wertvollen Beitrag zu unserem Ökosystem leistet und für sich selbst dabei eine bereichernde Tätigkeit erfährt.
Wo kaufe ich meinen Honig?
Wer sich in der Provence vom Duft der Lavendelfelder oder vom Farbrausch der Sonnenblumen betören lässt, kauft dort sicherlich auch ein Glas Honig. Im Feinkostladen oder Bioladen inspirieren uns Namen wie ‚Orangenblütenhonig‘ aus Spanien, ‚Kastanienblütenhonig‘ aus Italien oder ‚Manuka Honig‘ aus Australien zum Kauf.
„Ja, Sortenhonige sind bekannt und der Geschmack ist vorstellbar. Aber dass geschmacklich überraschende ‚Wald- und Wiesenhonige‘ gibt, die aus einer vielfältigen Mischung unterschiedlicher Nektaren und Honigtau bestehen, ist vielen Menschen gar nicht bewusst. Das Sortiment der Supermärkte besteht oft nur aus einer Marke. Die Liebhaber:innen des deutschen Honigs kaufen dieses Slow Food Produkt aber fast immer noch vom Imker in der Nachbarschaft.“
Mit ihrer Initiative ‚Regionale Honigvermarktung‘ überzeugt Marianne am Anfang ihrer Karriere als Imkerin die Supermärkte in ihrer Region die lokalen Honige ins Sortiment aufzunehmen. Denn die Sichtbarkeit eines Produktes garantiert den Imker:innen ein kleines Einkommen. Aber ihre Leidenschaft ist es, die diese wichtige Arbeit zur ökologischen Naturvielfalt trägt und somit einen Gewinn für uns alle generiert.
Was beinhaltet italienische und französische Kreativität & Wertschätzung des Essens?
Wer hat schon einmal Parmesan oder gegrillten Ziegenkäse mit einem cremigen, malzigen nach Weintrauben und Apfel schmeckenden Honig gegessen? Oder einen nach Zitronengrass duftenden nach weißer Schokolade und Vanille schmeckenden Honig zu einem Joghurt oder Vanilleeis genossen? Welcher Honiggeschmack verfeinert eine Salatsoße? Und welcher Konsistenz und Geschmack soll mein Frühstückshonig auf Pumpernickel oder einem Bauernbaguette haben? In den südlichen Ländern geben die Sortennamen der Honige schon einen Hinweis auf das Geschmackserlebnis. Kastanienhonig, Lavendelhonig, Bergkräuterhonig, Orangenblütenhonig – diese Pflanzennamen sprechen unsere sensorische Vorstellung an. Wir erinnern uns an den Geruch von Orangen oder den Geschmack von Esskastanien. Aber welche Geschmackswelt verbirgt sich hinter einem deutschen Frühtracht-, Sommerblüten- oder Wald-Honig? Nur ‚süß‘ und ‚leicht würzig‘ wird einem ‚Wald- und Wiesenhonig‘ nicht gerecht.
Warum sind ‚Wald- und Wiesenhonige‘ so vielfältig im Geschmack?
„Pflanzen honigen witterungsabhängig. Es kommt nicht nur auf die Pflanzen an, die von den Bienen angeflogen werden, sondern auch darauf, ob es warm oder kalt, feucht oder trocken ist. Dadurch entstehen Farb-, Geruchs- und Geschmackskombinationen in immer neuen Varianten. Gerade so wie es die Natur, die Jahreszeit, das Klima und der Boden bestimmen. So gleicht kein Honig dem anderen! Die Tatsache, dass Bienenvölker auf über 50 km² ihre Pollen sammeln, trägt ebenfalls zur geschmacklichen Vielfalt der Honige bei.“
Bei so vielen unterschiedlichen Aromen der Pflanzenblüten und des Honigtaus ergibt sich ein wunderbarer Mix, aber wie schmeckt dann dieser Honig vom Frühling und Sommer? Durch ihr ‚Regionales Vermarktungsprojekt‘ erhält Marianne eine Einladung auf die Slow Food Messe ‚Terra Madre‘ in Turin. Dort werden die besten Honige prämiert und geschmacklich wie Weine präsentiert und beschrieben. Eine Inspiration für Marianne. Sie entwickelt ein Schema für eine Honigbonitur, d.h. eine systematische sensorische Beschreibung von Honigen. Diese aussagekräftige Beschreibung für Honige geben den Imker:innen eine Möglichkeit ihr besonderes Slow Food besser zu platzieren. Und für die Kund:innen gibt es wie beim Wein auch eine Empfehlung, wozu die Aromen dieses speziellen Honigs perfekt passen.
Wie arbeitet Marianne als Honig-Sommelière?
Es braucht schon Zeit, dem Geschmack eines Honigs auf die Spur zu kommen. Ein Teelöffel Honig mit Wasser gemischt, abgedeckt in einem großen Glas, offenbart nach einer Ruhezeit noch einmal zusätzliche Geschmacksnuancen. Wie bei einer Weinprobe können nicht mehr als 4- 6 Honige auf einmal verkostet werden.
„Das Aussehen und die Farbe geben schon einen Hinweis, wo die Bienen den Nektar gesammelt haben. Beim Öffnen des Glases erreichen uns schon die ersten Sinneseindrücke über den vielfältigen Geruch. Wenn der Honig dann auf der Zungenspitze in den Rachenraum gelangt, erwärmen sich die Aromastoffe und gelangen auch an die Rezeptoren der Nase. So entsteht aus all diesen Sinneseindrücken der Geschmack des jeweiligen Honigs, der in seiner Vielfalt so viel mehr ist als nur süß oder fruchtig.“
Aber welches Vokabular wird dem einmaligen Geschmack des Honigs gerecht? Marianne listet in ihrem Aroma-Rad die wichtigsten Komponenten auf. Zuerst nehmen wir den Geruch wahr, dann die Konsistenz mit seinem Mundempfinden. Nach diesen sensorischen ersten Klassifizierungen differenziert Marianne den Geschmack in Bereiche: süße, sauer, salzig, bitter und umami. Es folgt die Vielzahl der faszinierenden Aromen. Den Abschluss bildet wie bei der Weinverkostung der Abgang. Mit ihrer Methodik erarbeitet Marianne für das Bieneninstitut in Mayen Geschmacksbeschreibungen für die dort eingereichten Honige. Imker:innen nutzen das Institut zur Reinheits- und Pollenanalyse ihrer Honige. Mit Mariannes ‚erschmeckten‘ Aromen und Empfehlungen steht den Imker:innen ein weiteres Merkmal für die Vermarktung zur Verfügung.
Die Imkerei - Zufall oder vielleicht Vorbestimmung?
Als Marianne mit ihrem Naturgarten startet ist ihre Slow Food Mission noch nicht präsent. Zu ihrer Idee der Imkerin gehört auch ein alter Bauwagen, den sie jetzt als kleines privates Imkermuseum nutzt. Auf dem Regal steht ein spät gefundenes altes Familienfoto, das ihre Familie vor über 100 Jahren als Imker zeigt. Manchmal überspringt die Leidenschaft einige Generationen. Passend zu dieser Zeit finden sich eine Honigschleuder und alte Bienenkörbe aus Stroh, mit Kuhdung bestrichen, Reklametafeln, Imkerwerkzeuge und Mariannes Arbeitskleidung – einen Imkerinnenhut und ihre weite Imkerbluse.
„Normalerweise gehe ich ohne diesen Schutz zu meinen Bienenvölkern, die fast alle sehr friedlich sind. Stiche gibt es in seltenen Fällen trotzdem. Aber dann ist das meistens meine Schuld.“
Was hat der Klimawandel mit der Honigproduktion der Bienen zu tun?
Als Bienensachverständige nimmt Marianne an verschiedenen Kontrollprojekten teil, die nach dem Bienensterben Anfang der 2000er Jahren starten. Auch das unvorhersehbare Wetter der letzten Jahre zeigen, dass es keine verlässlichen Voraussagen über die Mengen der Honigproduktion gibt. Eine Waage an ihrem Bienenstock misst die witterungsbedingte Honigproduktion der Bienen.
„Bis in den April signalisiert das kältere Wetter den Königinnen noch nicht mit der maximalen Eierproduktion zu starten. Wenn dann durch das plötzlich eintretende sehr warme Frühjahrswetter sich die Natur sehr schnell entwickelt, sind oft noch nicht genug Honigbienen vorhanden, um ihre Arbeit zu leisten. Ist der Sommer dann zu trocken stillen die Bienen ihre Suche nach Futter unter Umständen mit dem Saft der Früchte und bringen so Fruchtsaft statt Nektar in den Bienenstock ein. Eine Beobachtung, die es vor wenigen Jahren noch nicht gab. Die Honigqualität muss in solch einem Fall im Labor überprüft und sichergestellt werden“.
Wie sieht ein bienenfreundlicher Garten aus?
Apfelbäume, Himbeersträucher, alte vergessene Nutzpflanzen wie der von Bienen geliebte Bauernlauch, viele blühende Kräuter, Naturwiesenflächen und in vielen Farben blühende Pflanzen bieten den Bienenvölkern von Marianne eine große Vielfalt. Aber nur ein kleiner Teil ihrer 25 Bienenvölker stehen am Rand ihres Gartens. In der bienenreichsten Zeit summen hier über 25.000 Flugbienen durch Wälder und Wiesen im Bergischen Land.
Am Ende eines Jahres stehen mehr als 2000 Gläser Honig mit verschiedenen Geschmacksnuancen zum Verkauf. Inspiriert durch Mariannes Beschreibungen fällt die Auswahl nicht schwer - sei es zum Frühstück oder zu Käse oder zu einem Dessert. Denn jeder Honig bietet uns ein Fest für unsere Sinne.
Name: Marianne Kehres
Sie ist: Imkerin, Honig- und Bienen-Sachverständige
inzwischen sogenannte Pensionärin, wissbegierig, hinterfragend, stets am Wirken und glücklich (Glück gehabt, sagt sie).
Sie ist zu finden in: im Bergischen Land, 30 km östlich von Köln
Sie mag:
_ ihren Garten und ihr schönes Leben
_ ungekünstelte Gerichte in guter Qualität und Rotwein.
_ Norddeutschland mit dem Wind, einen Bummel durch Lüneburg, das Auswandererhaus und das Klimahaus in Bremerhaven, den Weserradweg von Hannoversch Münden bis Cuxhaven
_ die heutige Jugend mit einem gesunden Selbstbewusstsein.
Sie bewundert:
Vandana Shiva aus Indien für ihr Engagement für die Biodiversität und die ökologische Landwirtschaft.
Ihr WIASOLA Tipp:
Befrage doch einfach einmal bei passender Gelegenheit die Personen in Deinem persönlichen Umfeld nach ihrer Lebensgeschichte! Jeder anders gelebte Lebensweg ist so spannend, bewundernswert und bereichernd für einen selbst.
Ihre 3 Lieblingsbücher:
_ ‚Food Monopoly‘ von Ann-Helen Meyer von Bremen und Gunnar Rundgren
_ ‚Altes Land‘ von Dörte Hansen
_ ‚Polninken oder eine deutsche Liebe‘ von Arno Surminsk
Ihre Lieblingsmusik:
_ die Klaviermusik von Frederic Chopin ‚The Chopin Album’ gespielt von Lang Lang
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